11. Juli 2012

Programmiertes Desaster

Fiskalpakt stoppen? Nicht mit der SPÖ. Es rumort in Europa. Seit der Wahl Hollandes zum neuen französischen Präsidenten steht die den europäischen Ländern von Merkel und Sarkozy über den Fiskalpakt verordnete radikale und verstetigte Sparpolitik zur Disposition. In Österreich läge es vor allem an der SPÖ, ob diese „neoliberale Zwangsjacke“, aus der es im Falle des Beschlusses kaum mehr ein (rechtliches) Entkommen gibt, beschlossen wird oder nicht. Die SPÖ droht, sich bedauerlicherweise einmal mehr so zu entscheiden, wie so oft: falsch. Und mit ihr die sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften.

Fiskalpakt: Der ganz normale Wahnsinn

Noch einmal in Kürze die zentralen Inhalte des von den EU-Regierungschefs mit Ausnahmen Tschechiens und Großbritanniens) beschlossenen Fiskalpakts:

  • Die Mitgliedsstaaten werden zu ausgeglichenen Budgets verpflichtet. Dies gilt als erreicht, wenn das „strukturelle“ Defizit (also jenes nicht konjunkturabhängige Defizit, dessen Berechnung und Aussagekraft in der Wissenschaft hoch umstritten ist) 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht überschreitet. Um dieses Defizitziel zu erreichen, sind „Schuldenbremsen“ – idealerweise in Verfassungsrang – in allen nationalen Gesetzen festzuschreiben (Merkel: „Es geht darum, dass die Schuldenbremsen dauerhaft in die Rechtsordnungen eingefügt werden, dass sie bindend und ewig gelten!“, Ö1-Morgenjournal, 31. Jänner 2012). Nur Staaten, deren öffentlicher Schuldenstand unter 60 Prozent des BIP liegt, dürfen „strukturelle“ Defizite bis ein Prozent schreiben.
  • Die Nationalstaaten verpflichten sich gleichzeitig, einen automatischen Korrekturmechanismus zu verankern, der in Kraft tritt, wenn das Defizitziel überschritten bzw. vom entsprechenden Budgetpfad zur Erreichung des Defizitziels abgewichen wird. Wie genau dieser Mechanismus funktioniert, ist nicht geregelt, ja nicht einmal, welche Maßnahmen innerhalb welchen Zeitraums durchzuführen wären. Zuständig, diese auszuarbeiten ist die europäische Kommission. Die Befugnisse der EU-Kommission bei Entwicklung dieses Sparmechanismus gehen so weit, dass sie „… die Rolle und die Unabhängigkeit der auf einzelstaatlicher Ebene für die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften zuständigen Institutionen“ (Lukas Oberndorfer in AK-Infobrief „EU & International“, 1/2012) festlegen können soll. Die nationalen Parlamente sollen also „ins Blinde hinein“ Beschlüsse fassen, deren Umsetzung und Rahmenbedingungen noch gar nicht geklärt sind!
  • Zusätzlich zur Schuldenbremse wird auch die Umsetzung der im EU-Six-Pack beschlossenen Schuldenregel konkretisiert: Demnach muss jener öffentliche Schuldenstand, der die Maastricht-erlaubten 60 Prozent überschreitet, jährlich um 1/20 reduziert werden. Also: liegt der Schuldenstand etwa bei 70 Prozent, müssen die 10 Prozent über den 60 Prozent jährlich um 1/20 abgebaut werden. In unserem Falle wären das 0,5 Prozent des BIP. Was sich nicht dramatisch anhört, würde im Falle Österreichs etwa ein Sparvolumen von 1,5 Milliarden Euro ausmachen! Zusätzlich zur Schuldenbremse. Jahr für Jahr. Da wird’s dann doch gleich etwas bedrohlicher … Bei Ländern wie Spanien läge der jährliche Konsolidierungsbedarf aus der Schuldenregel bei 1,5 Prozent des BIP, bei Länder wie Italien sogar bei 3 Prozent! Schuldenbremse und Schuldenregel gemeinsam – also Defizitabbau plus Staatsschuldenabbau verordnet, so Schulmeister „… (fast) allen EU-Ländern den ,griechischen’ Weg der Depression.“ (Schulmeister, EU-Fiskalpakt: Das programmierte Desaster, auf beigewum.at) „Austerity forever“, wie schon KritikerInnen des Six-Packs feststellten …

Ausgehebeltes Königsrecht

Der parlamentarische Beschluss über ein Budget (also über in Zahlen gegossene Politik) als „Königsrecht nationaler Parlamente“ wird überhaupt weitgehend ausgehebelt, sind Mitgliedsstaaten einem Verfahren aufgrund eines „übermäßigen Budgetdefizits“ (also bei Defiziten jenseits der 3 Prozent Maastrichtgrenze) unterworfen. Derzeit ist das übrigens die große Mehrheit aller EU-Staaten. Dann muss nämlich ein „Haushalts- und Wirtschaftsprogramm“ vorgelegt werden – unter Umständen bevor überhaupt das Parlament informiert ist – das von der Europäischen Kommission und vom Ecofin (Rat der europäischen Finanzminister) erst einmal genehmigt werden muss.

„Damit werden der Europäischen Kommission entscheidende Eingriffe in die nationale Budgetpolitik gegeben. Im Falle einer nicht zufriedenstellenden Berücksichtigung der budgetpolitischen ‚Diktate‘ der Europäischen Kommission drohen den Mitgliedsstaaten (…) Strafzahlungen“ (Klatzer/Schlager, Fiskalpakt: Immerwährende Austerität, Demontage von Wohlfahrtsstaat und sozialen Rechten, „Die Zukunft“, 4/12).

Damit verlieren die demokratisch gewählten nationalen Parlamente in Sachen Budget weitreichende Entscheidungskompetenz. Auch wenn nur „Programme“ und nicht das Budget selbst der Europäischen Kommission zur Bewertung vorzulegen sind – die Budgets haben sich strikt an den Programmen zu orientieren. Gemeinsam mit den ebenfalls von der Europäischen Kommission zu beschließenden oben erwähnten „automatischen“ Korrektur- bzw. Sparmechanismen werden parlamentarische Rechte hinsichtlich der Budgeterstellung massiv beschnitten, demokratisch legitimierte Institutionen entmachtet.

Eine tendenziell und erfahrungsgemäß neoliberal ausgerichtete Kommission erlangt damit über die Nationalstaaten Budgethoheit bzw. Definitionsmacht darüber, wie Budgets auszusehen haben und schreibt damit einen neoliberalen, anti-sozialstaatlich ausgerichteten Austeritätskurs fest. Unabhängig davon, aus welchen Parteien, mit welcher ideologischen Orientierung auch immer, sich eine Regierung zusammensetzt – es ist letztlich egal, sie hat im Falle eines Defizitverfahrens zu exekutieren, was eine erfahrungsgemäß wirtschaftspolitisch vollkommen einseitig agierende Kommission vorgibt! Damit führen sich demokratische Wahlen ad absurdum, wird somit das demokratische System als ganzes in Frage gestellt! Ein demokratiepolitisches Desaster, ein regelrechter Quantensprung in Richtung „autoritärer Kapitalismus“!

Vertrag ohne Ausstieg

Und bei diesem zutiefst antidemokratischen, autoritären Akt bleibt es nicht: Um EU-vertraglich festgelegte Spielregeln zu umgehen, soll der Fiskalpakt ein „völkerrechtlicher“ Vertrag werden – ohne Ausstiegs- bzw. Aufkündigungsszenarien. Denn nirgends finden sich Bestimmungen, wie bzw. ob der Vertrag denn aufgekündigt bzw. beendet werden kann! Die neoliberale, autoritär verordnete Austeritätspolitik soll ohne allzu umfassende und langwierigen Debatten am besten auf alle Ewigkeit festgeschrieben werden und bleiben und da erscheint ein völkerrechtlicher Vertrag als tauglichstes Mittel!

Warum ein völkerrechtlicher Vertrag? Lukas Oberndorfer, EU-Rechtsexperte der AK-Wien dazu:

„Die zentralen Elemente des Fiskalpaktes, insbesondere die Anforderung, dass die Mitgliedsstaaten, eine europäische Schuldenbremse im nationalstaatlichen Recht einführen und mit einem Austeritätsmechanismus versehen müssen, der automatisch ausgelöst wird und dessen nähere Ausgestaltung alleine der europäischen Exekutive anheim gestellt wird, finden keine Grundlage in den europäischen Verträgen.“

Was ein „ordentlichen Vertragsveränderungsverfahren“ notwendig gemacht hätte – unter Beteiligung des europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente in Form eines Konvents. Da es für derart neoliberale Politikpraktiken allerdings immer weniger demokratische Legitimation gibt, wird einfach der Weg der Umgehung der

„… ohnehin zu gering ausgebildeten demokratischen und rechtlichen Sicherungsgarantien des Europarechts …“

gewählt. Der Weg, den Austeritätskurs eben „völkerrechtlich“ festzuschreiben.

Widerstand

Allerdings ist dann doch nicht alles so gelaufen, bzw. läuft dann doch nicht alles so, wie es die europäischen, insbesondere auch die deutschen Eliten gerne hätten. In den Nationalstaaten braucht es nämlich – bei aller Übereinstimmung der Regierenden – Beschlüsse der nationalen Parlamente. Und entsprechende erforderliche Mehrheiten für den Vertrag – der ja tatsächlich parlamentarische, demokratische Rechte über weite Strecken auszuhebeln droht und einen rigiden Sparkurs auf Jahrzehnte festschreibt – wackeln, in einigen Ländern geht der Schmäh mit der Umgehung der EU-Verträge nicht durch und es braucht Volksabstimmungen – etwa in Irland, wo inzwischen eine Bevölkerungsmehrheit unter dem Druck, aus europäischen „Rettungsmaßnahmen“ ausgeschlossen zu werden, schließlich mit „Ja“ stimmte.

Ja, selbst Merkel tut sich bislang schwer, eine parlamentarische Verfassungsmehrheit für ihr Lieblingsprojekt zu finden (zumindest bis Redaktionsschluss). Und neben NGOs und europäischen Gewerkschaften, die gegen den Fiskalpakt – zumindest in der vorliegenden Form einmal – mobilisieren, regt sich auch im EU-Parlament, das sich seine Mitbestimmungsrechte in europäischen Angelegenheiten nicht so einfach wegnehmen lassen will, Widerstand. Und spätestens seit der Wahl des Sozialisten Hollande zum französischen Staatspräsidenten – der im Zuge seines Wahlkampf ankündigte, den Fiskalpakt so sicherlich nicht zu ratifizieren – ist etwas Bewegung in die Debatte um den richtigen Kurs in der EU geraten, wird der deutsche Weg nicht mehr unhinterfragt hingenommen.

Austeritätskurs: Ökonomisches, soziales Desaster

Denn: Was neoliberale Ökonomen und Politiker immer noch als „alternativenlos“ darstellen, führt für alle, die sehen können und wollen, schnurstracks in die soziale und ökonomische Katastrophe. Der Austeritätskurs hinterlässt bereits jetzt eine Spur der

  • sozialen und ökonomischen Verwüstung,
  • Massenarbeitslosigkeit,
  • Hoffnungs- und Perspektivenlosigkeit,
  • des Elends und der Depression.

Der Sparkurs erreicht dabei nicht einmal die ohnehin fragwürdigen, selbst gesteckten Ziele, nämlich

  • den Euro zu stabilisieren,
  • den Staatsschuldenstand  zurückzuführen,
  • auf den Weg der Budgetkonsolidierung zurückzukehren
  • und das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen.

Verschärfte Krise

Im Gegenteil: Die „Schuldenkrise“ hat sich noch verschärft. Vom Vertrauen der Finanzmärkte keine Spur, ein Ende der Krise ist nicht abzusehen. Dafür wird die EU zunehmend zur „europäischen Folterkammer“. Die jüngst veröffentlichten Zahlen von „eurostat“ sprechen eine deutliche Sprache, vor allem auch in den Krisenländern:

  • Das Bruttosozialprodukt – also die gesamte Wirtschaftsleistung – ist in Griechenland, im Experimentierlabor des „autoritären Kapitalismus“ Marke EK/EZB/IWF-Troika seit der Krise um 20 Prozent geschrumpft und wird auch 2012 noch einmal um 4,7 Prozent schrumpfen! Die Arbeitslosigkeit liegt bei 19,7 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei rund 50 Prozent. Die Staatsschuldenquote ist angesichts des massiven Wirtschaftseinbruchs und anhaltend hoher Budgetdefizite (2011: 9,1 Prozent, 2012: geschätzt -7,3 Prozent) seit 2007 von hohen 107 Prozent des BIP auf 2011 165,3  Prozent des BIP explodiert und soll bis 2013 trotz massiver Sparvorgaben noch einmal auf 168 Prozent steigen.
  • Ähnlich Portugal: In diesem Staat ist das BIP seit 2007 um 7 Prozent eingebrochen, für 2012 wird ein weiterer Einbruch von – 3,3  Prozent prognostiziert. Der Schuldenstand ist seit 2007 von 68,3 auf 107,8 Prozent im Jahr 2011 gestiegen und wird bis 2013 auf prognostizierte 117,1 Prozent steigen. Die Arbeitslosenrate ist seit 2007 von 8,9 auf 15,1 Prozent gestiegen.
  • Schließlich Spanien, mit einem Staatsschuldenstand von 36,2 Prozent des BIP und einem Budgetüberschuss von +1,9 Prozent im Jahr 2007 geradezu Musterschüler ins Sachen Schulden und Defizit. Vier Jahre und eine Finanzkrise später hat sich der Schuldenstand auf 68,5 Prozent bei einem Defizit von -8,5 Prozent im Jahr 2011 beinahe verdoppelt und soll 2013 bei 87 Prozent des BIP zu liegen kommen (prognostiziertes Defizit -6,3 Prozent). Die Sparanstrengungen haben nicht nur wenig bis gar nicht gefruchtet, sondern zusätzlich eine Rezession (2012: -1,8 Prozent, 2013: geschätzte -0,3 Prozent) verursacht, welche die Arbeitslosenrate auf einen traurigen Spitzenwert von 24,4 Prozent im Jahr 2012 und 25,1 Prozent 2013 ansteigen lassen wird. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bereits jetzt bei rund 50 Prozent!
  • Zuletzt: das einstige EU-Musterland Irland hat seinen Staatsschuldenstand von 24,8 Prozent im Jahr 2007 auf 108,2 Prozent geradezu vervierfacht! Das Budgetdefizit erreichte 2010 mit einem Minus von 31,2 Prozent des BIP einen in Europa einmaligen Spitzenwert und wird auch 2013 bei immer noch -7,5 Prozent liegen. Verdreifacht hat sich in Irland seit 2007 die Arbeitslosenquote – nämlich von 4,6 auf 14,3 Prozent 2012. Irland führt auch anschaulich die immer wieder von konservativer Seite aufgestellte Behauptung, wonach die Krise als Hauptursache für das Schuldenwachstum ein „Mythos“ sei, ad absurdum. Niemand wird wohl ernsthaft behaupten, dass ein großzügiger Sozialstaat bzw. ein überborderndes Beamtenheer für den irischen Schuldenstand verantwortlich zeichnen würde. Und wenn die europäischen Staaten allein von 2008 bis 2010 sagenhafte 1,6 Billionen Euro – mehr als 13 Prozent des Bruttosozialprodukts der EU – für Bankenrettungspakete aufwenden mussten, spricht das wohl auch eine mehr als deutliche Sprache. Die jeden Versuch, die Schuldenkrise auf den Sozialstaat und die öffentlichen Dienste zurückzuführen, als pure Ideologie entlarvt …

Stagnierendes Wachstum

Für den gesamten Euro- bzw. EU-Raum stellt sich die ökonomische Situation alles andere als erfreulich dar: Trotz – oder besser gesagt gerade wegen – verordneter, synchron einsetzender Sparmaßnahmen stagniert das BIP-Wachstum in der EU und die Wirtschaft schrumpft im Euro-Raum um 0,3 Prozent. Gleichzeitig steigt trotz sinkender Budgetdefizite im Euroraum:

  • 2010:  -6,2 Prozent,
  • 2011:  -4,1 Prozent,
  • 2012 (progn.): -3,2 Prozent,
  • 2013 (progn.): -2,9 Prozent)

die Staatsschuld in der Euro-Zone:

  • 2008: 70,1 Prozent
  • 2011: 87,2 Prozent
  • 2012 (progn.): 91,8 Prozent
  • 2013 (progn.): 92,6 Prozent.

Die Arbeitslosenrate wächst bis 2013 auf ein Rekordniveau von 11 Prozent an.

Angesichts der düsteren Wirtschaftsdaten schlagen vom Internationalen Währungsfonds (IWF) über Ratingagenturen bis hin zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und zu Ökonomie-Nobelpreisträgern à la Paul Krugman und Joseph Stieglitz jede Menge des Marxismus unverdächtige Institutionen und ExpertInnen Alarm, sprechen von einer „gefährlichen Mischung aus Schulden, Sparen und schwachen Banken“ und fordern eine Abkehr vom rigiden Sparkurs. Der Chefökonom des IWF, Olivier Blanchard, fordert eine behutsame, langfristig angelegte, Wachstum und Beschäftigung nicht dämpfende Konsolidierungsstrategie, denn „… slow an steady wins the race“ und kein Brachialsparen.

Nein zum Fiskalpakt, sagt der Hausverstand …

Nun, das alles ist nicht neu, kein Geheimnis, das alles ist bekannt. Und: Mensch muss wahrlich keine ÖkonomIn sein, um angesichts der engen innereuropäischen wirtschaftlichen Verflechtung (87 Prozent der Exporte der EU-Mitgliedsstaaten gehen in die EU-Mitgliedsstaaten!) ein wirtschaftliches Desaster zu prognostizieren, sollten alle europäischen Länder gleichzeitig den rigiden Sparkurs à la Merkel vollziehen. Um das zu vermuten, braucht es tatsächlich keinen Internationalen Währungsfonds, Ratingagenturen oder OECD, dazu reicht eine gesunde Dosis Hausverstand.

Gewerkschaften, linke Oppositionelle und ÖkonomInnen, kritische NGOs quer über Europa haben daher stets vor den dramatischen Folgen rigider Sparpolitiken und überhasteter Konsolidierungsschritte gewarnt. Die mehrheitlich konservativen europäischen Eliten haben sich von ihrem Kurs allerdings nicht abbringen lassen, die BürgerInnen Europas stehen inzwischen vor einem entsprechenden Scherbenhaufen. Auch jene wenigen SozialdemokratInnen in europäischen Regierungen (wie eben den österreichischen Bundeskanzler) hat die absehbare Katastrophe nicht an einer Unterzeichnung des Fiskalpakts gehindert.

Die Kritik am Fiskalpakt fiel in der österreichischen Sozialdemokratie (in der Partei wie in der Gewerkschaften) entsprechend eher leise und verhalten aus. Erst mit der Wahl Hollandes kam, allerdings nur kurz, etwas Bewegung in die Sozialdemokratischen Reihen.

… doch was sagen Sozialdemokratie und Gewerkschaften?

Innerhalb der SPÖ setzte mensch vorerst einmal auf Zeit und hatte es mit dem Nationalratsbeschluss des Fiskalpakts nicht eilig. Abwarten, was da auf europäischer Ebene noch kommen möge, hieß einmal die Devise von Prammer und Co. Unklar blieb sie dennoch, die sozialdemokratische Position. Während etwa der Präsident der SP-Fraktion im EU-Parlament, der Österreicher Hannes Swoboda für Europa bereits den „Wendepunkt“ gekommen sah, das Ende der „goldenen Regel“ des Kaputtsparens, hielt der SP-Bundeskanzler Faymann selbst am Tag nach der Hollande-Wahl an Sparkurs und Fiskalpakt fest.

Nicht viel anders stellte sich die Lage bei den SP-dominierten ArbeitnehmerInnenvertretungen dar: Während im Rahmen der von Einzelgewerkschaften wie vida, PRO GE und GdG-KMSfB mitgetragenen Initiative „Wege aus der Krise“ mit Kritik am Fiskalpakt nicht gespart wurde und AK-Präsident Tumpel immerhin eine „Revision“ des Fiskalpakts forderte, weil die „EU-Krisenpolitik (…) Europa in die Sackgasse (führt)“, sprach der ÖGB-Präsident vorerst einmal nur davon „dass es zusätzlich einen Wachstumspakt“ brauche, dass es darum gehe, „… den Fiskalpakt durch Investitionen in Wachstum und Beschäftigung zu ergänzen“, weil der „Fiskalpakt alleine (…) die Krise prolongieren, nicht beenden“ werde. Zu einem klaren „Nein“ wie etwa Deutscher und Europäischer Gewerkschaftsbund, ver.di und EGB, können und wollen sich die österreichischen Gewerkschaften nicht durchringen.

Dabei dürfte eigentlich gerade eine gewerkschaftliche Positionierung an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lassen: Eine gesetzlich verpflichtende, verstetigte und permanente Sparpolitik mit automatischen Sanktionen bei Verstößen gegen dieselbige, kontrolliert und vorgegeben von einer erfahrungsgemäß neoliberal ausgerichteten EU-Kommission kann niemals in gewerkschaftlichem Interesse sein. Abgesehen davon, dass eine derartige Fiskalpolitik in Krisenzeiten kaum mehr wirkungsvoll gegen Arbeitslosigkeit und Verarmung steuern kann, lässt eine derartige Budgetpolitik kaum mehr Spielräume für einen Ausbau sozialstaatlicher Leistungen auf nationalstaatlicher Ebene zu und bringt bestehende sozialstaatliche Einrichtungen sowie öffentliche Dienste unter massiven Druck. Eine an strikte Regeln gebundene Fiskalpolitik macht parlamentarisch-demokratische Budgetwerdungsprozesse inklusive Begutachtungen im Vorfeld zur Farce. Budgetpolitik bleibt auch in diesem Falle „in Zahlen gegossene Politik“ – allerdings in Zahlen gegossene neoliberale, neokonservative Politik. Und das völkerrechtlich auf immer und ewig.

Farbe bekennen? Welche Farbe?

Der ÖGB kann da Sozialstaatskampagnen führen so viel er will. Mit dem Fiskalpakt wird der europäische Sozialstaat „konsequent stranguliert“ (Schulmeister). Wer „Ja“ zum Sozialstaat sagt, muss „Nein“ zum Fiskalpakt sagen, sonst bleibt jedes Bekenntnis zum Sozialstaat eine leere Floskel. Eine wie von ÖGB und SP-Teilen eingeforderte Ergänzung des Fiskalpakts um einen Wachstums- und Beschäftigungspakt würde den Fiskalpakt inhaltlich um keine Spur besser machen sondern nur die sozialdemokratische Positionierung noch widersprüchlicher. Bremsen und Gas geben gleichzeitig funktioniert nun mal nicht. Es hilft nichts, es muss Farbe bekannt werden. Fiskalpakt stoppen – dafür müssen Gewerkschaften gemeinsam mit NGOs und den vernunftbegabten Teilen von Politik und Wissenschaft mobilisieren!

Beziehungsweise: Es müsste Farbe bekannt werden. Denn derweilen hat Griechenland gewählt. Und zwar so, wie es Europa, nicht zuletzt Merkel, wünschte. Inzwischen haben auch SPD und Grüne in der BRD offensichtlich in einem Anfall nationaler Umnachtung gegen vage Zusagen und kleinere Verhandlungserfolge – die allerdings keine derart schwerwiegende Entscheidung rechtfertigen – ihre Zustimmung zum Fiskalpakt gegeben. Man ist ja schließlich doch in erster Linie deutsch und staatstragend. Die Merkel freut’s, rot-grün werden noch sehen, was sie davon haben – die bundesdeutschgrüne Basis zeigt sich jedenfalls bereits jetzt in der Causa Fiskalpakt tief gespalten. Dass es in der SPD wesentlich anders ausschaut, darf bezweifelt werden. Und in Österreich? Da hat’s die Sozialdemokratie nun plötzlich auch ganz eilig. Sie will (zumindest bis zu Redaktionsschluss) den Fiskalpakt noch vor der Sommerpause im Nationalrat über die Bühne bringen. Die Opposition von rechts bis grün wird den Fiskalpakt ablehnen. Ob eine einfache Mehrheit tatsächlich reicht, ist fraglich. VerfassungsrechtlerInnen, aber auch die Grünen, sehen eine Verfassungsmehrheit für notwendig. Was allerdings in der Außenwirkung des Fiskalpakts vermutlich egal wäre: Beschlossen ist beschlossen, völkerrechtliche Verpflichtungen treten unabhängig davon, ob der Beschluss nun verfassungskonform zustande gekommen ist oder nicht, in Kraft.

ÖGB? Traurig

Eine traurige Rolle werden bei der Beschlussfassung vermutlich einmal mehr die GewerkschafterInnen in den Reihen von SPÖ und ÖVP einnehmen. Sie werden wohl zum x-ten mal zähneknirschend zustimmen und entsprechende Ausreden finden, warum sie mussten.

Und während die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (die größte Europas übrigens) die deutschen Bundestagsabgeordneten brieflich aufforderte, dem Fiskalpakt nicht zuzustimmen, während der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sich in einem Bundesvorstandsbeschluss am 20. Juni klar gegen den Fiskalpakt positionierte und die Abgeordneten aufrief, wenn schon nicht dagegen zu stimmen, den Beschluss zumindest aufzuschieben, hat der ÖGB im Rahmen des Vorstands am 21. Juni unmissverständlich klar gemacht, mit Sicherheit keine derartige Initiativen zu starten. Von ÖGB und AK sind keinerlei dahingehende Empfehlung gegenüber „ihren“ Abgeordneten zu erwarten – schon gar keine Empfehlung mit „Nein“ zu stimmen. Ja, es wurde sogar ein gewisses Verständnis für die dem Fiskalpakt innewohnende deutsche Strenge artikuliert, schließlich würde Deutschland ja auch einen Großteil der Eurorettung zahlen. Interessant nur, dass das Verständnis von DGB und ver.di für ihre Regierung gegen Null geht. Der ÖGB deutscher als die deutschen KollegInnen?

Ganz offensichtlich sollen sozialdemokratische und konservative Abgeordnete aus den Gewerkschaftsreihen nicht in die Bredouille gebracht werden. GewerkschafterInnen bekennen Farbe. Regierungsfarbe. Parteifarbe. Austerity forever. Die Sozialdemokratie und mit ihr die von ihr dominierten Gewerkschaften hätten es in der Hand gehabt, diesen Beschluss zu verhindern, ihn zumindest aufzuschieben. Sie haben es nicht getan. Wir werden sie daran erinnern. Wir werden selbst daran erinnert werden. Denn: Die nächste Krise kommt bestimmt.

PS: Bevor wieder irgendjemand auf die Idee kommt, einen „Schuldenturbo“ zu unterstellen

Ja, Defizite und Staatsschulden müssen zurückgeführt werden, aber sinnigerweise in Zeiten guter Konjunktur. Die beste Strategie Haushalte zu konsolidieren und Beschäftigung zu fördern, ist eine intelligente, sozial und ökologisch verträgliche Wachstums- und Beschäftigungsstrategie. Jedenfalls abzulehnen sind überhastete Brachialsparmethoden, ein „Hineinsparen“ in die Krise. Es ist auch keineswegs zwingend, dass Wachstums- und Beschäftigungsmaßnahmen schuldenfinanziert werden müssen. Ganz im Gegenteil: Ein sozial-ökologisches Wachstumspaket kann auch über zusätzliche, konjunkturneutrale Steuereinnahmen (z.B. Vermögens-, Vermögenszuwachs-, progressivere Einkommenssteuern) finanziert werden. Der norwegische Nobelpreisträger Trygv Haavelmo hat bereits in den 1940er-Jahren gezeigt, dass eine Erhöhung von Steuern und Staatsausgaben in Krisenzeiten zu einem expansiven Effekt auf Wirtschaft und Beschäftigung führt. In Österreich könnten zusätzlich z.B. umweltschädigende Subventionen abgebaut und frei werdenden Mittel für ein Investitionspaket Klimaschutz (in erneuerbare Energien, Energiesparmaßnahmen, thermische Sanierung, umweltfreundliche Mobilität) eingesetzt werden.